Archiv für März, 2011

Lahmgelegt

Posted in Venezuela on 31/03/2011 by janderkran

Die Transportmittel in Caracas sind Metro (es gibt ca. 5 Linien), Metrobus (fährt zur Metrostation und wieder zurueck), Camioneta bzw. Linienbus, das eigene Auto, Taxi oder Motortaxi. Dabei kostet ein Ticket für die Metro kaum 10 Cent (.70 BSF) und kann auch für den Metrobus noch mitbenutzt werden. Camionetas kosten 20 Cent (2 BSF). Zur Rush Hour präferiere ich natürlich die Metro, die untertage lange, hupende Staus umgeht. Vorgestern ist dann aber die Metro-Hauptlinie 1, sie geht einmal durch ganz Caracas, aufgrund eines Strommangels  bzw. Überspannung ausgefallen. Es konnte heute jedoch verkündet werden, das rund 300 Arbeiter 2 km Kabel neu verlegt haben. Hunderttausende mussten zur Arbeit laufen und kamen zu spät, Motortaxis waren auf einmal doppelt so teuer. Motortaxis, bzw. Motorräder sind besonders praktisch, weil sie sich zwischen den schlangestehenden Autos hindurchfädeln, umso gefährlicher sind sie für den unvorsichtigen Fussgänger der eine Strasse im Stau überquert. Wenn nicht die ganze Metro ausfällt, dann ist wie heute die Luftzufuhr oder Kühlung der Metro-Wagons kaputt oder die Rolltreppen in den Bahnhöfen funktionieren nicht. (Desmiluno, 30.03.2011; CiudadCCS, 31.03.2011)

Die Strassenverhältnisse sind schlecht. Wenn nicht geflickt, dann klaffen Löcher im Asphalt, man muss dauernd ausweichen. Wichtige Fernverkehrsstraßen sind teilw. nur einspurig befahrbar, weil der Regen sie unterspült und wegschwemmt. Dann gibt es noch die Policia Acostada, dass sind scherzhaft: zum Schlafen gelegte Polizisten. Zu gut deutsch Geschwindigkeitshuckel. Die gibt es überall. Ansonsten kümmert sich die Polizei aber nicht wie gefahren wird. Man kann sie mit 140 km/h überholen, oder eine rote Ampel durchfahren. Rot bedeutet zu mindestens des nachts im besten Falle abbremsen.

Gute Aussichten

Posted in Venezuela on 28/03/2011 by janderkran

Caracas ist von Bergen umgeben. Ein Höhenzug der Caracas vom Meer trennt, heisst Avila, mit mehreren Gipfeln bis zu 2700 m. Am Sonnabend bin ich mit zwei Freunden auf den Pico Occidental gewandert. Um oben anzukommen muss man aber erst einmal den „Laufsteg“ von Caracas passieren. Das ist eine Fitnessstrecke, das erste drittel der ganzen Wanderung. Hier sind noch unglaublich viele Menschen schwitzend und arschwackelnd unterwegs. Ein Paar Frauen hatten einen silbernen Plastikanganzkörperanzug an. Dieser knisterte vor sich hin – ich nehme an er hilft beim schwitzen und somit beim abnehmen. Ab dem Verschnaufpunkt Sabas Nieve sind aber nur noch eine handvoll Leute unterwegs und es beginnt tropischer Wald – keine Stunde von der Innenstadt entfernt! Hier zwitschern Vögel und schleichen Schlangen, es gibt paradiesische Flüsse zum Baden. Oben angekommen hat man auf der einen Seite den Blick über ganz Caracas, auf der anderen das Meer mit Strand.

Gestern ist die Buchmesse in Caracas – die FILVEN2011 (soviel wie Feria Internacional del Libro de Venezuela) zu ende gegangen, mit viel Programm und einem breiten Angebot an Second Hand Literatur. Also ich meine natürlich gebrauchte Bücher, die billig zu bekommen sind. Es gibt auffällig viele Stände von der Regierung und Sozialisten, auch Kuba und der Iran sind vertreten. Es werden dort billig venezulanische Schrifterzeugnisse und Biografien von Che-Guevara über Simon Bolivar bis Lenin angeboten.

Der vielbeschriebene Hungerstreik ist übrigens vorbei. Alle Forderungen erfüllt, sie müssen nur noch umgesetzt werden. Keiner ist gestorben. Mal gucken wann der nächste Hungerstreik losgeht – einen gibt es schon noch. Krankenschwestern protestieren für mehr Lohn vor der brasilianischen Botschaft (keine Ahnung warum genau dort).

Hier wird gewettert

Posted in Venezuela on 25/03/2011 by janderkran

Chávez beklagt sich über den Krieg des Westens mit Lybien. Viel zu viel Geld wird in „Waffen, unsichtbare Flugzeuge und Bomben gesteckt, dabei sollte man sich viel mehr um Wasser und dessen Verteilung kümmern“, aber darum kümmere sich der kapitalistische Westen nicht (1,1,5). Dabei hat Chávez selbst in den letzten sechs Jahren ca. 15 Mrd. $ in Waffen und ähnliches investiert (2) und profitiert auch jetzt prächtig von dem ansteigendem Erdölpreis.

Mundzu

Aber es gibt noch etwas spannendes zu berichten. Die Hungerstreikenden Studenten haben angefangen sich den Mund zuzunähen, mit Nadel und Faden. Damit soll ihrem Protest Ausdruck verliehen werden – also eher stiller Ausdruck. Und gleichzeitig der Druck auf die Regierung erhöht werden. „Wir haben keine Antwort erhalten, als die Kriminalisierung unseres Protestes. Alles hier passiert dank dem Diktator in Miraflores [Präsidentensitz], der wiedereinmal probiert die venezulanische Jugend umzubringen“ (3) (der Mund war nur halb zugenäht). Chávez hat zwar „gesagt“ dass die Studentenstipendien angehoben werden, aber nichts über Professorengehälter noch über öffentliche studentische Transportmittel (die Verbesserung bzw. Erhöhung dieser waren weitere Forderungen der Hungerstreikenden). Mittlerweile sind dass dann 28 Tage essensloser Protest, aber vor hunger sterben wird hier niemand – hoffe ich. Ich habe gelesen, dass 5 Arbeiter sich seit 130 Tagen im Hungerstreik für ihre Rechte befinden, sie fangen nun auch an sich den Mund zu zu nähen (4).

Subjektive Unsicherheit

Posted in Venezuela on 21/03/2011 by janderkran

Nachts nicht allein auf der Straße sein, ab 10 Uhr abends mit dem Taxi nach hause fahren und immer bescheidsagen wenn man gut angekommen ist. Ein grundsätzlich mulmiges Gefühl haben, wenn man im Dunkeln unterwegs ist, wenn möglich nie mehr als 10 € mitnehmen. Tägliches paranoides daraufhinweisen, wie gefährlich es in Caracas ist, nicht mit dem Handy in der Öffentlichkeit offensichtlich sein. Elektrozäune selbst auf dreimeter hohen Mauern, Kameras nach allen Seiten vor dem Eigenheim, Wachschutz in den besseren, abgeschotteten Wohngegenden, grundsätzliche Vergitterung jeden Fensters – auch im 5. Stock…  etc.

die nachbarschaftliche fast schon pathologische Kriminalitätsfurcht

Die Kriminalitätsfurcht äußert sich in oben beschriebenen Verhalten. Sie hat starken Einfluss auf die eigene Lebensqualität und ist auch in Europa sehr hoch.

Es existiert ein sog. „Risiko-Furcht Paradoxon“. Obwohl die objektive Unsicherheit, also das Risiko Opfer einer Straftat zu werden in Europa gering ist und in den letzten Jahren stagnierte, stieg die Kriminalitätsfurcht. Das Paradoxon ist also dadurch gekennzeichnet, dass die objektive Unsicherheit nicht der subjektiven Unsicherheit entspricht. Evidenz findet das Paradoxon in Caracas darin, dass in den Barrios, in den armen sozialen Schichten, wo die meisten Morde etc. geschehen, die Kriminalitätsfurcht geringer ist, als außerhalb des Barrios, in der Mittelschicht. Die Frage wie man Kriminalitätsfurcht denn misst, spielt dabei eine große Rolle, möchte ich hier aber ausklammern.

Diese Kriminalitätsfurcht wird aus grob drei unterschiedlichen Perspektiven erklärt:      – sie wird einerseits erhöht durch direkte und indirekte Viktimizierung. Dass man also selbst oder ein Bekannter Opfer einer Gewalttat oder Diebstahls wurde (=Viktimisierungsperspektive).                                                                                              – die Soziale Perspektive auf Mikroebene beleuchtet das nähere Umfeld des Individuums, dass bestimmte Stimuli oder Zeichen in der persönlichen Umwelt die Furcht erhöhen. Das sind z.B. Graffitti an den Wänden oder Müll auf den Straßen, Bettler, und eine anonyme Nachbarschaft. Das was man durch die täglichen ein bis zwei Seiten Todesschlagzeilen in einigen Zeitungen an Gewalt in der Stadt mitbekommt zählt ebenfalls dazu.                                                                                                                – die Soziale Perspektive auf Makroebene erklärt die Kriminalitätsfurcht mit gewaltigeren Argumente, z.B. der Angst vor dem sozialen Abstieg, vor dem Arbeitsplatzverlust, also i.A. so etwas wie Spannungen in der Gesellschaft.

In der weitläufigen Literatur wird natürlich für den integrativen Ansatz dieser drei Perspektiven geworben.

Zum Nachlesen:

miedo-al-crimen-en-caracas

– Hale, C. (1996). Fear of Crime: A Review of the Literature. International Review of, 4(2), 79–150.                                                                                                                          – Farrall, S., Gray, E. & Jackson, J. (2007). Theorising the Fear of Crime: The Cultural and Social Significance of Insecurities about Crime. Working Paper No. 5,. Experience and Expression in the Fear of Crime.                                                                                   – Rebotier, J. (2011). Politicizing fear of crime and insecurity in Caracas The manufacturing of a fearful urban meta-narrative. Emotion, Space and Society, 1–9.

Drunter und Drüber

Posted in Venezuela on 17/03/2011 by janderkran

Vorgestern gab es eine große Demonstration. Diese sollte den Protest der hungerstreikenden Studenten verstärken. Ziel sind vor allem höhere Gehälter für Professoren und Studentenstipendien. Während an der UCV ein Stipendium 200BS pro Monat beträgt, ist es an der staatlichen Universität mehr als doppelt so hoch. Die Universitäten sind finanziell abhängig vom Staat.

Heute gab es dazu die Gegenveranstaltung. Die sozialistische Studenten, v.A. der prostaatlichen Universitäten (Universidad Bolivariana und die UNEFA, vor ca. 2 Jahren ins Leben gerufen), marschierten ebenfalls bis vor die Asamblea Nacional, sich einsetzend für eine weiterführende Transformation der Universitäten (neben den obigen Forderungen. Es ist nämlich so, dass die Aufnahmebedingungen z.B. an der UCV für viele Studiengänge an schulische Leistungen geknüpft sind, die man natürlich nur besteht, wenn man einen guten Schulabschluss hat. Für viele Jugendliche aus den Barrios so gut wie unmöglich. Es soll hier mehr Gleichheit herrschen. Ausserdem wurde heute einer der angeblich Hungerstreikenden Studenten beim Essen erwischt, bzw. hat man ein Video (gestern Nacht) von ihm gemacht. „Ich helfe bei der Logistik des Hungerstreiks.“(2,4)

Das komischste ist gestern Abend passiert. An der UCV gab es eine Art Universitätenrat, wie jeden Mittwoch Abend, mit studentischen Vertretern und Professoren. Anscheinend werden die einfachen Angestellten (Putzfrauen, Gärtner, Security etc.) an der UCV, welche gewerkschaftlich organisiert und eher Pro-Chávez, nicht sonderlich pfleglich behandelt, denn diese demonstrierten vor dem Gebäude in dem die Versammlung stattfand, für ausstehende Löhne und Bezahlung von Arbeitskleidung. Dazu gibt es ab nächsten Montag noch einen 48-Stunden Streik. Die Universitätenversammlung wurde von ihnen dann gestern gewaltsam aufgesucht um den eigenen Standpunkt zu kommunizieren. Auf bürokratischem Wege hatte es nicht funktioniert. Es wurde ein Notausgang verriegelt und gesagt, dass man ihren Forderungen zuhören sollte (5 ,6). ein Auto wurde angezündet, der Strom gekappt. Die Präsidentin der Universität sprach von Geiselnahme der Versammlungsmitglieder und suspendierte den kompletten Unterricht an der ganzen Universität für heute und morgen.

„Zumindestens haben wir einen Stern mehr auf unserer Flagge“

Posted in Venezuela on 14/03/2011 by janderkran

Nichts ist so symbolträchtig wie die Staatsflagge. Die Flagge der Bolivarischen Republik Venezuela ist auch eine Trikolore: Gelb und Blau und Rot sind gleich Sonne und goldener Boden, Meer oder Himmel bestimmt aber Unabhängigkeit von Spanien, Blut und Mut der Revolution – kann man sich aussuchen. Eine andere etwas zynischere Interpretation ist die, dass Francisco de Miranda, welcher die Flagge erstmals hisste und nicht nur im venezolanischen Unabhängigkeitskrieg kämpfte, sondern auch im US-Amerikanischen und der Französischen Revolution, auch mal in Russland war. Die dortige Flagge nahm er mit, und auf dem Weg nach Südamerika ist das Weiß ausgeblichen und ein schönes Gelb geworden…

Flagge ab 2006

Flagge 1930-2006

Man muss kein Vexillologe sein, um die Unterschiede zwischen den beiden Flaggen herauszufinden. Das Pferd auf dem Bolivar zu Felde ritt, guckt seit 2006 nicht mehr nach hinten. Was man als ängstliches Zurückschauen deuten könnte, ist durch strebsames Vorantraben ersetzt. Zudem schmückt ein zusätzlicher Stern den Bogen. Ursprünglich gab es nämlich sieben Provinzen, die sich 1811 gemeinsam als unabhängig erklärten: Caracas, Cumaná, Barcelona, Barinas, Guayana, Margarita, Mérida y Trujillo. Guayana kam dann als Provinz wenig später, 1817 unfreiwillig hinzu und bekam schließlich 2006, zusammen mit dem Pferd durch das Ley de Bandera Nacional, Himno Nacional y Escudo de Armas de la actual República Bolivariana de Venezuela (soviel wie Gesetz der Staatsflagge, der Nationalhymne, des Wappen der Streitkräfte der Bolivarischen Republik Venezuela) den achten Ehrenplatz.

Nun gut, es gibt schon noch symbolträchtiges hier, vom Bolivar Fuerte hatte ich schon erzählt, aus der Republik Venezuela wurde die Bolivarische Republik Venezuela und noch etwas: Navidad es Amor, Navidad es Solidaridad, Navidad es Socialismo (Weihnachten ist Liebe, Solidarität, Sozialismus), die Banner flattern noch immer an der Einkaufsmeile Sabana Grande herum. Bei der sonntäglichen Talkshow von Chávez kann man anrufen und seine Probleme schildern. Wenn man Glück hat, löst sie der Herr sofort… per Dekret.

Morgen ist eine Demonstration von Studenten, welche die Forderungen der immer noch Hungerstreikenden Studenten nach höheren Gehältern unterstützt. Ani, meine Gastmutter wird mit der 7-sternigen Flagge mittrillern.

Objektive Unsicherheit

Posted in Venezuela on 11/03/2011 by janderkran

Caracas ist die gefährlichste Stadt in Lateinamerika. Für das Jahr 2008 waren es mehr als 130 Tötungen pro 100.000 Einwohner. In ganz Venezuela mehr als 13.000 Stück. Zum Vergleich, Bogota hatte 20 Morde pro 100.000 Einwohner. Deutschland hat ca. 0,6 pro 100.000 Einwohner. Opfer sind vor allem Jugendliche, Arme, Männer (1). Letztes Wochenende zum Karneval, gab es im Leichenhaus Bello Monte lediglich 39 Einlieferungen – friedliche Tage. Zeitungen dürfen nur noch gesetzlich begrenzt Fotos von den grausamen Szenen zeigen, wo fängt freie Berichterstattung auf und Panikmache an? Ich habe meine erste Arbeitswoche damit verbracht Zeitungsartikel verschiedener Tageszeitungen des Monats Dezember 2010 zu klassifizieren: nach Mord, Diebstahl, Verletzungen und was jeweils intendiert war, seitens des Täters – zum Glück nur eine Woche, denn depressiv wird man sonst.

Die Leichenschauhaeuser sind heillos ueberfuellt. Unmoralisch das Foto oder die Zustaende? 10.Aug.2010

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In der Kriminologie wird zwischen objektiver und subjektiver Unsicherheit unterschieden. Die obigen Zahlen zählen zur objektiven Unsicherheit. Ein Report von Provea (2009), eine Nichtregierungsorganisation, beleuchtet  die große Dunkelziffer. Also Morde und Diebstähle die normalerweise nicht angezeigt werden. Da sind das für ganz Venezuela schon über 20.000 Tötungen in 2009 (Dunkelziffer+die anderen). Dabei geschehen die meisten Delikte in den Barrios (2), dort wo die Unterschicht zu Hause ist, durch Bandenkriege. Petare in Caracas ist das größte Barrio von Lateinamerika, mit insgesamt über 1,5 Millionen Einwohnern, schlägt es die größten Favelas in Rio de Janeiro. Es ist eine Stadt in der Stadt, an einem riesigen Berghang gelegen, aus der muss man nicht raus, denn man kann dort arbeiten und essen kaufen. Hier herrscht das Ley de Barrio. In der Tat ist die Straflosigkeit vieler Morde eines der größten Probleme. Trotzdem sind die Gefängnisse Venezuelas heillos überfüllt, mit bis zu 400%. Es gibt viele Tote, welche regelmäßig von Internationalen Menschrechtsorganisationen angemahnt werden und die meisten Inhaftierten warten seit Ewigkeiten auf eine Anklage (3). Mir gehts gut…

1: Briceño-León (2009). Violencia y Inseguridad en Venezuela. Informe 2008. Caracas: Alfa.

2: Provea. Derecho a la Seguridad Ciudadana. Informe Anual, 2009.

Warum keine Flip-Flops?

Posted in Venezuela on 08/03/2011 by janderkran

Gestern war ich in einer Fotoausstellung: Testigo Incómodo von Walter Astrada. Seine Fotos stellen Gewalt v.A. gegen Frauen in verschiedenen Ländern, wie im Kongo oder in Indien dar. Seine derzeitigen Arbeiten beschäftigen sich mit Schönheitsidealen und Konkurrenz junger Venezuelanerinnern und der Drang sich dafür unters Messer zu legen – auch eine Form von Gewalt. Diese Ausstellung war sehr eindrucksvoll. Komisch, dass sie in einer Schule für Fotografie untergebracht war, die als solche von außen nicht erkennbar war. Es gab nur hohe weiße Mauern und kein Schild, keine Klingel. Man brauchte ein Telefon um hineinzukommen (1,2).

Auf dem Rückweg habe ich meinen ersten Hund in Gummistiefeln gesehen. Sie waren gelb, er klein und weißfellig. Dazu hatte er noch eine Decke um den Bauch. Es ist ja kalt hier. Die Halterin des Hundes bezeichnet man als vieja sifrina. Ich weiss nicht genau was sifrina heisst, aber vielleicht so viel wie „einsam“ und „ich kümmere mich den ganzen Tag um meinen Hund.“ Geregnet hatte es nicht, ich hätte Gustav ein paar Flip-Flops angezogen, wegen dem Schwitzen und es klackt dann immer viermal – Klack4

Carnaval und Land weg

Posted in Venezuela on 07/03/2011 by janderkran

Dieses Wochenende war Carneval und dazu gibt es noch zwei Tage frei (Montag und Dienstag). Caracas ist wie leergefegt, weil alle Leute an 253 Stränden sitzen und feiern. Im Bundesstaat Falcón wurden 700 000 Besucher erwartet, 6000 Sicherheitskräfte passen auf die auf. Normalerweise gibt es sogar eine staatlich verordnetes Alkoholverkaufsverbot für diese

Las playas del Litoral - Silvino Castrillo

Las playas del Litoral - Silvino Castrillo

Tage, was aber so viel heisst, dass der Alkohol ein bisschen teurer ist und vorher umso mehr gehortet wird für die Feierlichkeiten. Die Strände sind dann total voll, und weil die Straßenverhältnisse sich, v.A. auch seit den Regengüssen im letzten Dezember, nicht verbessert haben gibt es kilometerlange Staus.

Im Bundesstaat Zulia wurden letzten Dezember 47 Fincas, also Ländereien mit Plantagen, enteignet vom Instituto Nacional de Tierras (INTI) und mit Militär besetzt. Die ursprünglichen Eigentümer der Fincas dürfen nicht mehr zurück auf das Land. Vielleicht nicht ganz nach dem Motto: La tierra es de quién la trabaja“ (Das Land denen, die es bearbeiten). Die Produktion kann seit der Enteignung nur noch eingeschränkt weitergeführt werden. Es fehlen Pflanzenschutzmittel und Dünger, was zu Krankheiten und Pflanzensterben führt. Dafür bekommen dir Arbeiter mehr Geld: „Sie bezahlten 5 BS pro Korb, am Tag erarbeitete man 26 Körbe. Jetzt bekommen wir 2000 BS [im Monat] und wir schaffen 3 Körbe am Tag.“ (28 + 27.2.2011, El Universal). Von 2004 – 2010 wurden in Venezuela 779 Verstaatlichungen durchgeführt, ein Großteil davon im Bereich der Landwirtschaft (1). Dabei wurden für die enteigneten Betriebe, wohl zu Marktpreisen übernommen. So ist Agropatria (ehem. Agroislena) eines der größten landwirtschaftlichen Betriebe in Staatshand welches die Preise 40-50 % gesenkt hat. Damit wird natürlich anderen Marktteilnehmern das Leben erschwert.  Ein Großteil der Lebensmittel wird dennoch importiert. Das Label Hecho en Socialismo (Im Sozialismus hergestellt) ist für den kleinen Geldbeutel zu haben und Produkten der Großkonzerne wie Nestlé preislich und vielleicht auch moralisch vorzuziehen. Oftmals halte ich jedoch vergeblich in den Supermärkten nach diesem Label Ausschau, obwohl es an jeder Straßenecke mit lächelnden Venezolanern proklamiert wird.

Tiuna el Fuerte (6) und Caracazo (22)

Posted in Venezuela on 01/03/2011 by janderkran

Fuerte Tiuna ist eines der wichtigsten und größten Militärstützpunkte in Venezuela. Er befindet sich in Caracas, in El Valle. In namensgebender Anlehnung wurde das Jugendprojekt Tiuna, el Fuerte (genau andersherum) vor sechs Jahren gegründet. Es befindet sich ebenfalls in El Valle, genau vor einem der großen Barrios (Slums) von Caracas. Dieses Projekt bietet Freiraum zur kulturellen Betätigung. Es existiert ein Radio Comunal welches Radio Verdura (Gemüseradio) heißt, sowie Kunstworkshops, Hiphop-Ensembles zum Mitmachen und Kampagnen von Psychologen gegen die hohe Kriminalität im Barrio. Am Samstag feierte es großen Geburtstag, mit riesiger Bühne, Lichtshow, vielen Kameras, um das Event im Fernsehen zu übertragen, Reggae und Salsamusik von sich im Halbstundentakt abwechselnden Bands, sowie ein wenig sozialistischer Rhetorik. Das ganze Projekt wird ziemlich gut finanziert durch Gelder der Regierung, ist aber leider eines von wenigen seiner Art (1).

Gestern und Vorgestern erinnert dann ein tragischeres Event an sein Geschehen von vor 22 Jahren, bei dem knapp 300 Leute den Tod fanden – Caracazo. Aufgrund der horrenden Inflation und schlechten wirtschaftlichen Aussichten für Venezuela, sollte im Februar 1989 ein Regierungsprogramm unter der Regierung von Carlos Andrés Pérez nach Vorgaben des IWF durchgesetzt werden. Freie Wechselkurse, aber v.A. die Erhöhung der Preise für den öffentlichen Nahverkehr und Benzin, sorgte für Unmut bei ärmeren Teilen der Bevölkerung. Die starken Demonstrationen auf den Straßen Caracas wurden blutig niedergeschlagen.

Caracazo

Heute wird das Event von Chàvez und Co. politisch vereinnahmt. “Was [gestern] Caracazo war ist heute Ägypten, und eine Regierung wie damals wird nie mehr in Venezuela an die Macht kommen, sei es durch Wahlen oder auf anderem Wege z.B. durch das Pentagon. (Für die, die es versuchen denen sei gesagt,) dass wir tanzen, singen und fröhlich sind, überall im Land, aber auch mutige Kampfer des bolivarischen Vaterlandes…” (uebersetzt nach Chàvez, El Universal, 28.02.11, 2)

Chávez saß übrigens schon einmal in Fuerte Tiuna in Haft. Nämlich für ein paar Tage  im April 2002, als gegen ihn geputscht wurde, da hat man ihn dort vorsorglich inhaftiert…