Archiv für Mai, 2011

Starke Symbolik für eine polarisierte Gesellschaft

Posted in Venezuela on 30/05/2011 by janderkran

Hier gibt es eigentlich nur Schwarz und Weiß. Entweder Chavista oder Opposition, wobei letztere v.A. die Mittelschicht umfasst, und der ärmere Teil der Bevölkerung eher Chávez zunickt. Spreche ich mit meiner Gastmama über die Tagespolitik, und probiere Argumente für die Politik von Chávez zu finden, werde ich gefragt ob ich Chavista bin. Die Zeitungen sind leicht den beiden Seiten zuzuordnen. Liest man ein Oppositionsblatt, könnte man depressiv werden aufgrund der Schlechtigkeit aller Dinge. In den Pro-Regierungsmedien strahlt hingegen alles Rosa.

Die sozialistische Symbolik gibt es überall. Schlagkräftige Slogans und grelles Rot omnipresent im öffentlichen Raum. Nach dem Motto: Du bist Sozialismus!… wird man von allen Seiten visuell bedrängt… mit Hiobsbotschaften über die neusten Errungenschaften, Wachstum der verstaatlichten Konzerne, Che und Simon Bolivar als Graffitti, das gerade seit 12 Jahren Revolution ist…

Hollywoodstyle: Aragua Socialista

Wir werden Siegen! Im Sozialismus machst Du die großen Taten!

Links: Die, die das Vaterland wollen, kommen mit mir! Rechts: Ohne Gerechtigkeit gibt es keine Revolution!

Mehr Energie für das Volk! Bis 2014 2160 MW ...; auf der linken Seite der neuste Energiespartipp

Im Parkhaus

Posted in Venezuela on 22/05/2011 by janderkran

Jeder Student muss während seines Studiums einen Sozialdienst leisten. Das sind ungefähr 80 Stunden zumindest für Psychologiestudierende. Es gibt verschiedene Einsatzmöglichkeiten, z.B. in einem Gefängnis oder in den Notunterkünften, wo Menschen wohnen, die ihr Heim verloren haben. In einem von diesen Notunterkünften konnte ich mich letzte Woche mal umgucken. In dem Parkhaus neben einem enteigneten Einkaufscenter wohnen 2800 Menschen (v.A. Familien). Das sind mehr Menschen, als Autos hineinpassen! Dabei ist wohnen vielleicht übertrieben, schließlich besteht die Wohnfläche aus Doppelstockbetten. Die Privatsphäre ist mit Laken notdürftig abgedeckt. Da natürlich auch viele Kinder unter den Wohnungslosen sind, gibt es im ersten Erdgeschoss eine Schule mit (neben der Einfahrt des Parkhauses) Klassenräumen. Wir (Mitarbeiter des Instituts für Psychologie und einige Studenten) durften für ca. 2 Stunden die Kinder der verschiedenen Klassenstufen betreuen. Mich erwischte dabei die 2. Klasse. Leider war ein Unterricht, eigentlich sollte es eine Art Workshop zu Thema Normen sein, nicht möglich. Weil genau die Normen und Regeln des sozialen Miteinanders, welche ich näherbringen wollte pausenlos verletzt wurden. Ständig musste ich sich prügelnde Kinder auseinanderhalten. Ruhe gab es nicht und am Schluss standen an der Tafel 5 Normen, aber lesen konnten noch nicht alle Schüler… Bedauerlicherweise war das in den anderen Klassenstufen nicht anders, die Gewalt ersetzt die verbale Kommunikation. Die Aggressivität kommt von der Enge. Das kann man natuerlich nicht auf alle Schüler generalisieren, aber jene, welche lernen wollen müssen sich den Umständen anpassen und damit klarkommen.

alt besser als neu besser als alt

Posted in Venezuela on 17/05/2011 by janderkran

Auf untenstehenden Bild sind die typischen Fahrkartenautomaten von der Metro in Caracas abgebildet. Es gibt dabei zwei verschiedene Arten, wobei die Neueren überhaupt nicht funktionieren (links). Rund 140 Stück gibt es von den „Neuen“ in allen Bahnhöfen der Stadt mit berührungsempfindlichen Mensch-Maschinen-Interface. Für insgesamt rund 50 Millionen Dollar wurden sie 2008 gekauft und installiert. Diese Automaten sollten allgemeingültige „intelligente“ Tickets ausspucken (1). Nur passt dieses „neue“ System nicht zum bereits Vorhandenen. Die vorhandene Realität sind kleine, gelbe Pappblättchen mit Magnetstreifen und an höchstens einem der „alten“ Automaten (rechts auf dem Bild, rot=funktioniert nicht) mit passenden Münzen zu kaufen. Zur Not gibt es immer noch ein Fahrkartenhäusschen mit langer Schlange oder man hat Glück und es ist irgendein sozialistischer Feiertag, dann muss man nämlich gar kein Ticket kaufen.

Für die kommende Präsidentenwahl in 2012 wird ein vollautomatisches Stimmenauszähl- und Registriersystem für insgesamt mehr als 100 Millionen $ gekauft (ein Teil davon wird jetzt schon für den Zensus der Mision Vivienda benutzt). Die Opposition fürchtet einfacheren Wahlbetrug und wettert gegen diese verschleuderten Ausgaben.

Para Vivir Viviendo!

Posted in Venezuela on 13/05/2011 by janderkran

„Vom Samstag den 7. Mai an, für einen ganzen Monat, kannst du dich registrieren in der Großen Mision Vivienda. Vivir Viviendo [Lebend Wohnen]!“ So lautet die SMS die ich diese Woche von der Regierung hier bekommen habe. Ich kann  mich  also auch für mich ein neues Domizil registrieren lassen, in einen der 243 dazu aufgebauten überdachten Stände in Caracas (siehe Foto). (Angeblich ist das schon die 6. Zählung seit 1999)

Heute ist es eher ruhig, keine lange Schlange

Man braucht dazu nur ein paar Formalitäten auszufüllen und Papiere mitzubringen. Diese Zählung ist der erste Teil des neu gestarteten Regierungsprogramms von Chávez, um erstmal zu wissen wie viel neue Wohnungen überhaupt gebaut werden müssen. Danach soll es dann ans Werk gehen (Punkt 2=Platz für Wohnungen suchen, P3=Firmen die Wohnungen bauen, organisieren, P4=Finanzierung, P5= Material heranschaffen) (2). Schon 271.000 Familien haben sich angemeldet (1). Ich hatte bereits über den Wohnungsmangel berichtet. Aus der Not eine Tugend, mit dem neuen Programm wird auch Wahlkampf betrieben, denn 2012 ist Urnengang, und Chávez Sieg mehr als ungewiss. Versprochen werden noch dieses Jahr 150.000 neue Wohnungen, insgesamt sollen es 2 Millionen in den nächsten 7 Jahren sein (2). Dabei hat Chávez in den letzten 12 Jahren nicht geschafft annähernd genügend Wohnraum zur Verfügung zu stellen (insgesamt 284.328 Häuser), sondern eher Hotels und Parkhäuser enteignet und provisorisch zum Wohnen umgebaut.

-Ich gehe mich jetzt erstmal registrieren lassen 🙂 in diesem Sinne oder dem Ikeas, bzw. mit Chávez Worten: „Vivienda, vivienda y más vivienda para vivir viviendo en la vivienda“ (Vivienda = Wohnraum, más=mehr, der Rest ist oben übersetzt)

Menschenrechte und Polizeigewalt

Posted in Venezuela on 08/05/2011 by janderkran

Das Vertrauen in die hiesige Polizei ist gleich Null. Wird man von der Polizei im Auto angehalten, dann ist das wahrscheinlich der 15. oder der 1. Tag im Monat – die Leute haben Geld im Portemonnaie. Die Polizei ist hochgradig korrupt und begleitet einen sogar zum Bankautomaten, sollte man einmal nicht das nötige Kleingeld dabeihaben um sein fehlenden Ausweis oder illegales Marihuana in der Tasche zu revanchieren. Schlimm ist aber v.A. die Gewalt die von vielen Polizisten ausgeht. So wurde letzte Woche Lorent Saleh ein Führer einer Jugendorganisation bei einer Demonstration verprügelt danach gefangengenommen für ein paar Tage. Außerdem wurde ihm verboten sich dem Ort der Demonstration zu nähern. Ihm wurde somit das Recht aberkannt friedlich zu protestieren. In der Demonstration setzte sich die Jugendorganisation für einen politischen Gefangenen ein, gegen welchen seit 5 Jahren von Staatsseite gerichtlich vorgegangen wird (1,2).

Aber Polizisten sind natürlich auch mit der Verbrechensbekämpfung beschäftigt. Durch sie kommen viele Menschen um – Malandros  (Verbrecher) und auch viele, die für welche gehalten werden bzw. nachträglich dazu gemacht. Die Menschenrechtsorganisation Red de Apoyo por la Justicia y la Paz nimmt sich den Opfern von Polizeigewalt an. Das können Menschen sein, die misshandelt wurden, aber v. A. sind es Mütter aus den Barrios, die ihren Sohn verloren haben und Hilfe suchen und ihren Fall von Psychologen, Ärzten und Juristen betreut wissen wollen. Dabei wird selten ein Fall wirklich vor Gericht gebracht und der angeklagte Polizist für sein Verbrechen bestraft. Dafür mahlen die Mühlen der Justiz hier zu langsam. Aber es gibt einen anderen Weg für die Opfer eine Art „Justiz“ zu erreichen. Die Organisation macht mit den Müttern z.B. ein Art Schreibwerkstatt. Da finden sich diese unter Anleitung zusammen und schreiben über ihr Leben und Umstände des Todes ihrer Söhne etc.. Ihr Leid und Schmerz wird in die Geschichten projiziert. Am Ende werden die Geschichten in einem manchmal sehr traurig zu lesenden Buch publiziert. Die Mütter erlangen damit vielleicht keine Genugtuung oder Rache, weil der mordende Polizist ja immer noch draußen herumrennt, aber mit dem Tod und dem anderen, neuen Leben besser umzugehen (3).

Devisen in Venezuela

Posted in Venezuela on 05/05/2011 by janderkran

Seit 2003 gibt es eine Währungskontrolle in Venezuela. Der gemeine Venezolaner kann nicht nach belieben sein Geld in andere Währungen umtauschen. Und auch als Tourist in Venezuela ist man an feste Wechselkurse gebunden, ein Dollar ist in Venezuela 4,3 BsF in allen öffentlichen Umtauscheinrichtungen wert. Wegen der starken Inflation liegt der Schwarzmarktkurs derzeit bei 9,23 BsF per Dollar. Das lohnt sich für den Touristen, für den Venezolaner nicht. Trotzdem wird man seine Dollar unter jedem Ladentisch los. Warum?

Dazu muss man wissen, wie man als venezolanischer Staatsbürger an echte Dollar kommt, wenn man ins Ausland reisen will, woanders studieren, oder bei Amazon einkaufen… denn der Bolivar wird nirgends in Deutschland oder in anderen Wechselstuben getauscht, er hat nur in Venezuela Wert.

Es gibt dazu zwei staatliche Einrichtungen, die ältere CADIVI und die neuere SITME. Wenn man ein Konto im Ausland hat, bzw. eine Kreditkarte, eine Steuernummer, eine eidliche Erklärung, dass man die neuen Dollar ordentlich verwendet, Kopie des Ausweises und noch ein paar Sachen mehr zusammenbringt, dann: kann man für Auslandsreisen bis zu 5000 $ jährlich eintauschen, für ein Auslandsstudium 5000 $ jährlich. Firmen die hier in Venezuela arbeiten, können bis zu 300.000 $ jährlich eintauschen (2). Das alles zu einem Kurs von 4,30 BsF für einen Dollar bzw. beim SITME sind es 5,30 BsF. Durch dieses System wird die Kapitalflucht eingedämmt. Das System ist so gedacht, dass manche Menschen Dollars in Bolivar eintauschen und manche Menschen umgekehrt. Es also eine Art Gleichgewicht gibt. Nur ist die Nachfrage nach Dollar viel größer als das Angebot. Daher muss die Regierung, mit den Petrodollars (das sind die Dollareinnahmen durch den Erdölexport) kräftig aushelfen. 42 Millionen $ wurden so im Schnitt pro Tag im letzten Jahr eingetauscht. Dieses Jahr wurde der Umtausch um 26 % zurückgefahren (El Universal, 2.5.2011 – Oferta de dolares en SITME se redujo). Es ist also in der Tat nicht so, dass man immer wenn man will diese besagten 5000 $ eintauschen kann. Darunter leidet nicht nur der Venezolaner, der morgen in den Urlaub fahren möchte, sondern v.A. internationale Firmen, die ihre Erlöse hier zu Geld, also Dollar machen möchten.

Für den Tausch von Dollar auf dem Schwarzmarkt gibt es hohe Geldstrafe und auch Haft. Über die Gefängnisse hatte ich schon berichtet, ein kleiner Zwischenstand: seit einer Woche sind im Gefängnis El Rodeo II 21 Mitarbeiter als Geisel genommen worden. Es sollen bessere Haftbedingungen erzwungen werden (3).

Mission Barrio Adentro

Posted in Venezuela on 02/05/2011 by janderkran

Die medizinische Grundversorgung in Venezuela vor der Zeit Chávez‘ erreichte nur knapp 40 % der Bevölkerung. Mit der Mission Barrio Adentro (In der Nachbarschaft) sollte das geändert werden. So wurden knapp 5000 kleine Praxen (wie auf dem Bild) im ganzen Land gebaut. Erreicht werden soll v.A. die arme Bevölkerung in den Barrios. Dafür wurden tausende Kubaner ins Land gebracht, um die Menschen hier für eine bestimmte Zeit zu behandeln. Kuba bekommt dafür im Gegenzug verbilligtes Öl. Denn es hatten sich zum Anfang des Projekts 2003, nur 50 venezulanische Ärzte gemeldet, 2009 waren es immerhin schon 1200. Die Arbeit in den Barrios ist bestimmt nicht immer ganz einfach, v.A. im Angesicht der horrenden Kriminalität. 2008 sind 7 kubanische Ärzte aus Venezuela in die USA geflüchtet: sie sprachen von „moderner Sklaverei“ die hier herrsche (3).

Über den Erfolg der Mission Barrio Adentro streiten sich die Zahlen, je nach den Quellen. Zwischen 30 % und 70 % der Zielgruppe profitieren von dem Programm (1). Die Kindersterblichkeit ist laut der WHO gesunken (von 23 auf 2o männl. Kinder/1000 Geburten). Die Versorgung ist immerhin kostenfrei. Nur 70 % der Kliniken sind besetzt, manche nur ein paar Stunden am Tag. Die fachliche Kompetenz der Ärzte ist umstritten (4). Die Idee des Systems und denVerbesserungen ist nichts entgegenzusetzen.

Aber es gibt noch ein anderes Gesundheitssystem. Das, was schon vorher da war. Nämlich das Netz von Praxen, Kliniken und Hospitälern für die Mittelklasse.  Hier muss man pro Konsultation eine Pauschale von 300 BSF bezahlen. Wenn man ein Röntgenbild benötigt, oder einen speziellen Test, kann sich das schnell zu tausenden BSF summieren. Es gibt private Krankenversicherungen, aber nicht jeder hat eine. Ich habe das Gefühl, dass der nötige Arztbesuch lange rausgeschoben wird und die allgegenwärtigen Apotheken häufig frequentiert werden. Medikamente sind In und billiger, sowie weniger zeitaufwendig als ein Arztbesuch. Wenn man denn doch in Krankenhaus muss, so sind diese oft heillos überfüllt. Man sollte sich sein Verbandszeug und Spritzbesteck selbst mitbringen – es fehlt an vielen Dingen, manchmal sogar fließend Wasser (2.5.2011, El Universal). Die Gehälter des Krankenhauspersonals sind arg gering – nicht ohne Grund haben einige Krankenschwestern den ganzen April über hungergestreikt.